Gegen das Vergessen: Gedenkstätte enthüllt

Veröffentlicht am 11.11.2019 in Allgemein

Sieglinde Huxhorn-Engler, Vorsitzende des Ausschusses für Jugend, Kultur und Soziales, eröffnete im Büdinger Burgmannenhof in der Schlossgasse eine Gedenkstätte für 149 Menschen jüdischen Glaubens, die während des Naziregimes schikaniert, ausgegrenzt und in die Flucht geschlagen wurden. Jugendliche fanden Worte wie: "Wir enthüllen diese Gedenkstätte, weil wir Unrecht nicht ungeschehen machen, aber dafür sorgen können, dass es sich nicht wiederholt" oder "...weil sie uns daran erinnert, dass Antisemitismus und Rassismus tödlich sind". Die Initiative ist auf einen FWG-Antrag hin entstanden und rannte bei den Sozialdemokratinnen Huxhorn-Engler und der Ersten Stadträtin Henrike Strauch offene Türen ein. Nach einer bewegenden Rede Sieglinde Huxhorn-Englers gegen das Vergessen zogen die Jugendlichen nach und nach die Tücher von den Tafeln. Eine große Zuschauerschar nahm an der feierlichen Eröffnung bei Klezmer-Musik und Kerzenschein teil. Anderntags schauten sich einige Büdinger Sozialdemokraten das Mahnmal bei Tageslicht an (Foto).

Nachfolgend die Rede der engagierten Sozialdemokratin Sieglinde Huxhorn-Engler: 

Meine Damen und Herren,

stellen Sie sich vor: da zieht eine größere Menge von Menschen durch unsere schöne Stadt. Vor allem in der historischen Stadt und ihrer unmittelbaren Umgebung beobachten die Menschen, dass an manchen Häusern Fenster eingeworfen werden oder dass Möbelstücke und Geschirr aus Häusern geworfen wird. In der Schlossgasse werden sie schließlich Zeuge eines Vorfalls, der Jahre später im Januar 1949 das Landgericht in Gießen beschäftigen wird: eine ältere Frau wird aus ihrem Haus geholt, die Treppe vor ihrem Haus hinuntergestoßen, wird geschlagen, getreten und durch die Schlossgasse getrieben. Ein junger Mann misshandelt sie und droht ihr, sie im Seemenbach zu ertränken, bis schließlich ein stadtbekannter Lehrer die Frau aus seiner Gewalt befreit und sie zu ihrem eigenen „Schutz“ ins Polizeigefängnis bringt.  – Und sie ist nicht die einzige, die durch die Stadt gehetzt und bedroht wird. Die Menschen schauen zu.

Das ist keine fiktive Geschichte, sondern so am 10. November 1938 hier geschehen. Der junge Mann ist ein 18jähriger Metzgergeselle, der Lehrer der örtliche Ortsgruppenführer und die Frau ist Jettchen Hirschmann, die mit ihrem gelähmten Mann in der Schlossgasse wohnt. Dieses Ereignis war das letzte Pogrom in Büdingen. Eine jüdische Gemeinde gab es nicht mehr, 1936 war die Synagoge verkauft, 1938 die Gemeinde aufgelöst worden. Im November 1938 lebten noch 13 jüdische Bürger in Büdingen – von 149 im Jahr 1933. Willi Luh erzählt in seinem Buch „Zur Geschichte und Kultur der Juden in Büdingen“ ausführlich von den Ereignissen und berichtet, dass im Büdinger Allgemeinen Anzeiger am 11. November ein Bericht erschienen sei, der „die Realität der Vorgänge in der historischen Stadt verschweigt“, und fährt fort, diese Ereignisse seien „auch später verschwiegen, verleugnet, verdrängt und schließlich nolens volens vergessen“ worden.

Nun stehen wir heute hier und enthüllen eine Gedenkstätte für die Opfer von damals – 81 Jahre nach den Ereignissen – ganz im Sinne Willi Luhs, der vor 20 Jahren schrieb:

„Auch in Büdingen haben die in deutschem Namen vertriebenen, getöteten und verschollenen jüdischen Opfer der Gewaltherrschaft in Gegenwart und Zukunft Erinnerung verdient!“

Drei Jahre hat es gedauert vom Antrag in der Stadtverordnetenversammlung bis zur heutigen Enthüllung. Es gab viele durchaus auch kontroverse Diskussionen im Ausschuss, aber wichtige Entscheidungen wurden getroffen:

Erstens, dass die Gedenkstätte in der historischen Stadt sein sollte, nicht irgendwo am Rand: Die damals verfolgten, vertriebenen und ermordeten Menschen sollen damit gleichsam in ihre Heimatstadt zurückgeholt werden.

Und zweitens, dass alle 149 jüdischen Bürger namentlich genannt werden sollten, weil Verfolgung und Unmenschlichkeit nicht erst mit der Ermordung anfangen und wir nicht in allen Fällen die Schicksale im Detail rekonstruieren können.

Außerdem spielt das namentliche Gedenken im Judentum eine überragende Rolle, wird die Tradition doch von Generation zu Generation, von Individuum zu Individuum, weitergegeben und als nicht endende Kette verstanden. 

„Jischor - Gedenke!“ und „Zachor! - Handle!“ sind wichtige Forderungen der Hebräischen Bibel. Sie sind Bestandteil der jüdischen Identität und für Täter wie Opfer Voraussetzung von Vergebung und Versöhnung und das gilt im Übrigen auch für den unseren, den jüdisch-christlichen Kulturkreis. Vergebung meint hier, Anerkennung des aufrichtigen Bemühens, sich mit der historischen Wahrheit auseinanderzusetzen, die historische Schuld zu benennen und sich in die Verantwortung dafür zu begeben, dass Derartiges sich nicht wiederholt. 

Wichtig ist dabei, dass dieses Gedenken, nicht kollektiv, sondern individuell stattfindet, dass damit den Opfern ihre Identität zurückgegeben wird und man ihrer in Würde gedenkt. Deshalb werden alle 149 Namen genannt. Nur wenn wir uns mutig und ehrlich der Vergangenheit stellen, nicht verdrängen und leugnen, können wir Zukunft gestalten. Hans-Velton Heuson wusste das und hat sich mit großem Engagement um Überlebende und Nachkommen von jüdischen Büdingern gekümmert.

Die Namen werden hier auf Namensbändern präsentiert, die unterschiedlich lang sind, manchmal nur einen, manchmal mehrere Namen umfassen. Soweit möglich, sind sie in Familiengruppen zusammengefasst, so dass diese Büdinger individuell und in ihrem sozialen Kontext erinnert werden können. Das war nur möglich, weil Willi Luh und Hans-Velton Heuson, jeder auf seine Weise, gegen das Vergessen gearbeitet haben. Ihnen sind wir zu Dank verpflichtet.

Die Stadtverordnetenversammlung dokumentiert mit dieser Entscheidung für die Gedenkstätte, dass der Slogan „In Büdingen lebt Geschichte“ kein leeres Gerede ist. Herzlichen Dank dafür!

Und ich möchte mich bei Schlossermeister Jürgen Aust bedanken, der mit seiner Sachkenntnis, mit seiner Offenheit, seiner Kreativität und seinen Ratschlägen viel dazu beigetragen hat, dass die Gedenkstätte heute so enthüllt werden kann. Danke auch an Herrn Isthas von der Denkmalpflege für die konstruktive Zusammenarbeit. Und nicht zuletzt gilt unser Dank den Mitarbeitern vom Bauhof, die im Burgmannenhof die Voraussetzungen geschaffen haben, dass die Gedenkstätte errichtet werden konnte.

Ich freue mich, dass junge Menschen die eigentliche Enthüllung vollziehen, macht das doch deutlich, dass wir Erinnerung nicht als Vergangenheitsgefängnis, sondern als Verpflichtung für die Zukunft verstehen. Gerade in Zeiten, in denen Demokratie- und Menschenfeindlichkeit, Diskriminierung und Ausgrenzung tagtäglich Raum gewinnen, brauchen wir Brücken in die Vergangenheit, die in der Tradition demokratischen Erinnerns stehen. Die uns mahnen, dass jeder Mensch wichtig ist und dass wir nicht schweigen dürfen, wenn Menschen Unrecht geschieht. Die uns immer wieder in Erinnerung rufen, dass Antisemitismus und Rassismus verletzen und tödlich sein können. Dass Menschenrechte verletzlich sind. Dass Frieden, Freiheit und Demokratie nicht selbstverständlich sind. Dass wir Verantwortung für die Zukunft übernehmen  und unsere Verantwortung keinen Schlussstrich kennt.

Dass Büdingen heute daran geht, sich in der Form einer Gedenktafel und einer Namenstafel seiner jüdischen Mitbürger zu erinnern, ist ein Zeichen dafür, dass die Büdinger Zivilgesellschaft auf dem Weg zu einem mündigen Umgang mit der eigenen Geschichte fortgeschritten ist. Büdingen stellt sich damit in eine Tradition des demokratischen Erinnerns, die unter anderem in der großen Befreiungsrede Richard von Weizsäckers ihren Ausdruck fand.

Namentliches Gedenken kann so zum Ausdruck einer zivilgesellschaftlichen Überzeugung werden, dass Erinnerung und Vergegenwärtigung die Voraussetzungen dafür sind, dass in unserer Stadt derartiges Unrecht keinen Platz mehr hat, dass Menschenwürde unsere Leitlinie ist, nicht Menschenverachtung!

Wir tun gut daran, sehr genau hinzuhören, wenn moderne Populisten „Deutschland retten und völkisches Gedankengut“ wieder gesellschaftsfähig machen wollen! Wir können nichts mehr ändern an der Menschenverachtung und der Gewalt des Nationalsozialismus – aber wir sind verantwortlich dafür, dass sich solches nicht wiederholt – oder wie es auf der Gedenktafel heißt:

„Wir verneigen uns vor den Opfern des Hasses und sehen das Leid, das Menschen einander zufügen. Das Leid unserer jüdischen Mitbürger mahnt uns zu Brüderlichkeit, Toleranz und Frieden.

Ihr Schicksal ist uns immerwährende Verpflichtung, für die Würde und Freiheit aller Menschen einzutreten.“

Deshalb kann ich nur immer wieder betonen, dass für uns alle gilt:

Die Würde des Menschen ist unantastbar – Die Würde jedes Menschen!

 
 

Unser Bürgermeisterkandidat Rolf Kleta

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